|
PROGRAMM |
Donnerstag 20.10.16, 20.00 Uhr
Remake, Remix, Rip-Off
Cem Kaya, D 2015, 96 min, türk. OF mit dt.UT
Die Türkei war in den 60er und 70er Jahren eine der größten Filmproduzenten der Welt.
Da das Fernsehen erst Mitte der 70er Jahre Einzug in türkische Wohnzimmer hielt,
war Kino neben Radio das einzige und günstigste Massenmedium. Die türkische Filmindustrie "Yeşilçam" indes war sowohl finanziell als auch strukturell instabil. Es gab keine Filmschulen
im Land, kaum Labore, der Erwerb von Filmnegativen war mit Importquoten belegt,
das Equipment veraltet, die Arbeitsbedingungen halsbrecherisch, gar tödlich.
Ferner waren die einheimischen Produktionen der Konkurrenz von amerikanischen und
europäischen Filmen ausgesetzt, deren Hochglanz-Bilder Yeşilçam schlicht nicht produzieren
konnte.
Begünstigt durch laxe Urheberrechtsgesetze produzierte Yeşilçam Remakes von
europäischen, amerikanischen und indischen Filmen, benutzte ihre Soundtracks und
sogar Filmfootage, wie Special Effects Szenen, die es selbst nicht herstellen konnte.
Plots und Figuren wurden vermischt, neu interpretiert und dem Geschmack des
heimischen Publikums angepasst. Die technischen Unzulänglichkeiten wurden wettgemacht
durch exzessiven körperlichen Einsatz vor und hinter der Kamera. Viele Yeşilçam Filme
besitzen eine unbändige Energie. Denn wo Luke Skywalker einmal zuschlägt,
schlägt Action Star Cüneyt Arkın hundertmal zu und wir glauben ihm, daß er es ernst meint.
Es entstanden zum Teil bizarre Versionen von Superman, Zorro, Tarzan, Drakula, James Bond,
Flash Gordon, Rambo, E.T und Star Wars aber auch Adaptationen von Filmen wie
William Friedkin's "The Exorcist", Sam Peckinpah's "The Strawdogs" und Billy Wilder's
"Some Like It Hot".
Mit dem Einzug des Fernsehens Mitte der 70er Jahre und der kompromisslos neoliberalen
Ausrichtung der türkischen Wirtschaftspolitik nach dem Militärputsch von 1980,
begann der Niedergang Yeşilçams. Bald wurden die Kinos beherrscht von amerikanischen
Blockbustern. Das türkische Kino suchte sein Heil in Sex Filmen und Arabesk Melodramen,
in denen viel gesungen wurde. Kinos, die türkische Filme zeigten, schlossen eins
nach dem anderen. Den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung erlebte das Land im Jahr 2013,
als Wochen vor dem Ausbruch der Gezi Proteste der älteste Kinosaal des Landes, das 1924 erbaute Emek, ein Wahrzeichen des türkischen Kinos, trotz heftiger Proteste abgerissen wurde,
um Platz für ein Einkaufszentrum zu machen.
Dieser ruinöse Umgang mit dem kulturellen Erbe des Landes zerstörte auch eine große Anzahl
an türkischen Filmen. Tausende Negative fielen Bränden zum Opfer, etliche sozialkritische
Filme wurden während des Militärregimes beschlagnahmt und vernichtet. Filme von Autoren
wie Yılmaz Güney dürfen bis heute im Staatsfernsehen nicht ausgestrahlt werden.
Cem Kaya, der mit Yeşilçam Filmen aus den türkischen Videotheken in Deutschland aufwuchs,
zeichnet in seinem Dokumentarfilm die Kopierpraxis der türkischen Filmemacher von den Anfängen
des türkischen Kinos bis hin zu den heutigen Fernsehserien nach.
In Istanbul sprach der Filmemacher mit Regie-Altmeistern, Produzenten, Schauspielern,
Kinobetreibern und Filmwissenschaftlern, über die turbulente Kinogeschichte des Landes.
Die Arbeiten an seinem Kompilationsfilm erstreckten sich über sieben Jahre,
in denen tausende Filme gesichtet und etwa hundert Interviews geführt wurden.
Fotos, Infos und Trailer: http://remakeremixripoff.com/index-de.html
|